Zeitgemäße Bewegungsräume: Parameter der Gestaltung und Programmierung und die Öffnung des Sportraums für JedeN
veröffentlicht in sb 1 2020
Autor: Harald Fux, RAUMKUNST ZT, www.raumkunst.at
Wir können derzeit, insbesondere in einigen deutschen und österreichischen Städten, einen regelrechten Neubau- und Sanierungs-Boom bei Bildungseinrichtungen und somit auch bei schulischen Bewegungsräumen verzeichnen. Das Wachsen der Städte aufgrund des Zuzugs in die Metropolen und die damit einhergehende städtische Verdichtung ziehen mittlerweile massive Investitionen der Öffentlichen Hand aber auch privater Vereine nach sich – es scheint, dass die Jahre des „Staus“ vorbei sind und teilweise erhebliche finanzielle Mittel frei werden.
Auf die Sanierung und den Neubau von Bewegungsräumen heruntergebrochen sollte dieser Bauboom aber auch mit der Entwicklung neuer, kreativer, nachhaltiger und zeitgemäßer Konzepte für Bewegungsräume eingehergehen. Das ist aber keineswegs so, nicht zuletzt deshalb, weil die Projekte unter großem zeitlichem und finanziellem Druck stehen.
Die Bedeutung von Sport und Bewegung für unsere psychische und physische Gesundheit gelangt immer mehr in das Bewusstsein der sich wandelnden Gesellschaften. Damit einhergehend aktualisieren und transformieren sich auch die Anforderungen an die Programmierung und Gestaltung von Sport- und Bewegungsräumen. Deshalb wäre die Neuprogrammierung von Bewegungsräumen und Sportstätten das Gebot der Stunde, um die rasanten Entwicklungen der letzten Jahre mitzunehmen und einen zeitgemäßen Standard abzubilden.
Abgesehen von einigen herausragenden Projekten, die offensichtlich einer klaren Vision zu verdanken sind, wird jedoch in den wenigsten zur Planung ausgeschriebenen Projekten diesem Umstand Rechnung getragen. Vielmehr wird nach wie vor die standardisierte Sporthalle verlangt, geplant, gebaut und schließlich - mit der genormten Geräteausstattung eingerichtet - mehr oder weniger erfolgreich genutzt.
Die differenzierte räumliche und inhaltliche Entwicklung, die der moderne Schulraum, verbunden mit moderner Pädagogik, fast überall erfährt, bleibt beim Bewegungsraum unberücksichtigt und bewegt sich von den normierten Sporthallen kaum weg. Der Grund dafür könnte sein, dass die Bewegungsräume schlicht übersehen oder in ihrem Potential und ihrer Bedeutung nicht erkannt werden.
Die tägliche (sportliche) Realität von Bewegungsräumen zeigt, dass diese nicht mehr nur der Ausübung „klassischer“ Sportarten dienen können und sollen. Vielmehr besteht heute der Anspruch an einen Raum, Freude an Bewegung zu gewährleisten, und damit Raum für allgemeine körperliche Aktivitäten, für Sport im Sinne von Erholung und Rehabilitation, mit formellen und informellen Angeboten, für sozio-kulturelle Anlässe und auch Events zu sein. Nutzungszeiten weiten sich aufgrund der geänderten Gewohnheiten massiv aus und entwickeln sich zeitlich bis hin in den sehr späten Abend.
Zeitgemäße Sport- und Bewegungsräume müssen daher, genauso wie andere Raumtypologien, entsprechend programmiert und bewegungsaffin codiert werden und nicht einfach, einer veralteten Norm und Pflichtenheften folgend, uninspiriert hingeklotzt werden.
Dabei stellen sich gleich mehrere Fragen: Wie kann ein aktiver Lebensstil durch entsprechende räumliche Strukturen gefördert werden? Wie könnte ein solcher Lebensstil sogar „kreiert“ werden? Wo befinden sich die Bewegungsräume? – Und vor allem: Wie ist es möglich, diese für alle zugänglich zu machen?
Hierzu ist es wichtig festzuhalten, dass der Freiraum nicht gesondert von Innen-Räumen betrachtet werden sollte und somit bei allen Überlegungen des Bewegungsraumes gleichsam mit angesprochen wird.
Was macht einen (Sport- und Bewegungs-) Raum zu einem großartigen Raum?
Von den allgemeinen menschlichen Anforderungen an räumliche Strukturen ausgehend, ermöglicht ein Bewegungsraum soziale Interaktion und Integration, bietet eine kreative Plattform für individuelle Handlungsmöglichkeiten und persönlichen Ausdruck, verfügt über eine lehrende Funktion (durch ortsgebundene Regeln und die im Raum vermittelte, bewusste Lebensweise), setzt Anreize zur Förderung von Diversität und gesellschaftlichem Zusammenhalt im Sinne der Inklusion und offeriert kulturelle Aspekte, Interessenaustausch, Belebung und Aufwertung eines Quartiers.
Diese Vielfalt erfordert unterschiedlichste Nutzungsmöglichkeiten und zeigt, dass herkömmliche Normsporthallenmodelle längst überholt und weder zeitgemäß noch funktionell sind.
Konnektivität
Die Erreichbarkeit über öffentliche Verkehrsmittel und Wege ist hier nur ein Faktor. Vor allem geht es um eine allgemein aktive Infrastruktur, die die Öffnung von Gebäuden für alle beinhaltet. Dafür ist eine Zirkulation innerhalb, außerhalb und zwischen den In- und Outdoor-Räumen anzustreben. Ein “Open Space Design” ermöglicht nicht nur die Konversation zwischen diesen Bereichen, sondern fördert diese bei den NutzerInnen und leitet diese gleichermaßen dazu an.
Flexibilität
Bewegungsräume sollten so programmiert werden, dass sowohl ein spontaner Zugang zu körperlicher Aktivität ermöglicht wird, als auch formelle Angebote stattfinden können. Der breite Erwartungshorizont an Sportstätten verlangt nach temporären oder langfristigen Modellen, die variabel und stets veränderbar in die gegebene Topographie eingesetzt werden können.
Die Flexibilität von Gebäuden ist beispielweise durch deren Einteilung in Module gegeben, die wiederum an bestimmte Ziele adaptiert werden können. So können öffentlich zugängliche Räume auch für soziale oder kulturelle Veranstaltungen genutzt werden.
Vertikalität
Vertikalität deutet nicht allein auf die Nutzung von Dächern oder die Verlagerung von Sporthallen in den Untergrund hin. Vielmehr können damit auch hybride Bauwerke geschaffen werden. Wohn-, Kultur-, Veranstaltungs- und Sporträume können in einem Konzept verschmelzen und Bewegung in ihrem weitesten Sinne in den Alltag implementieren.
Hybride Bauwerke, die sich als Mischform vorher getrennter Systeme begreifen, gestalten sich dementsprechend als abstrakte Repräsentationen des Umfelds, der Wohngemeinschaft und -kultur sowie körperlicher, sozialer und geistiger Aktivitäten.
Schulen sind ein gutes Beispiel für solche Hybride, in denen Gemeinschaft, Bildung, Kultur und Sport parallel stattfinden können. Bewegung an sich kann auch im Sinne eines interdisziplinären Austauschs in den gemeinschaftlich-gesellschaftlichen Strukturen möglich gemacht und angeregt werden.
Schlussfolgerung
Die Herausforderung, ein allgemeines und dennoch individuell an die Örtlichkeit angepasstes Rahmenkonzept zu erstellen besteht darin, vielfältige, einzelne Konzepte, die es bereits in unterschiedlichster Ausführung gibt, miteinander zu verknüpfen und für alle zu öffnen. Im Idealfall gelingt es dadurch, anregende Räume zu schaffen, in denen soziale, kulturelle, bildende und sportliche Bewegung und nicht zuletzt persönliche Kompetenzentwicklung stattfinden kann.